Hazreti Mevlâna und Semâ
Vor 700 Jahren lebte in Anatolien in Konya der große Mystiker und Philosoph Mevlâna Celâleddin-i Rûmî Hazretleri. Er war eine hochbegabte Person, ein Dichter, Mystiker und spiritueller Führer. In der Auslegung des Korans war er ein begabter Mensch und konnte auch stets die Probleme des Alltags lösen. Sein innerer Reichtum an Weisheit und sein gesamter Lebensstil zeigten sich in der Praxis des Semâs.
Dabei dreht sich die betende Person von rechts nach links hin zum eigenen Selbst, zur Tiefe des Herzens, denn das Herz ist das Haus Allahs, das Haus Gottes. Löst man sich vom eigenen, äußeren Ich und geht mehr zum Inneren des Selbst, sucht die betende Person zu diesem ‘Haus Allahs’ zu gelangen, ohne sich selbst zu verlieren.
Während des Drehens blickt der betreffende Mensch in jede Richtung und erinnert an den Koranvers (2:115), der besagt, „Gottes ist der Osten und der Westen. Wohin ihr euch auch wendet, dort ist das Anlitz Gottes.“
Langsam finden Hände und Arme ihren Platz. Die rechte Hand ist aufwärts gerichtet, dem Himmel entgegen und wartet respektvoll und geduldig auf Allahs Gaben. Die linke Hand zeigt abwärts gegen die Erde hin und teilt diese Gaben mit allen. So wird der/die Drehende zum Gefäß, das zwischen Himmel und Erde steht. Die Person wird zum guten Führer der Tugend. Wenn das Ego sich reduziert, dann kann der Mensch Bedürfnisse und Wünsche anderer Personen erkennen und akzeptieren.
Dies ist ein angemessener Lebensstil.
Semâ ist ein Gebet, eine Fürbitte in Tanzform und beinhaltet ritualisierte Elemente. Semâ ist ein Schritt auf dem Weg zur universellen Liebe. Ohne das Gefühl der Einheit zu verlieren, bewegt sich das Individuum inmitten der anderen und mit ihnen. Der Semâ symbolisiert gleichzeitig die göttliche Liebe und dadurch die Fähigkeit, alle anderen zu lieben.
Historische Tatsachen
Semâ ist eine Form der Anbetung im Drehen um seine eigene Achse. In der Menschheitsgeschichte können wir diese Form in verschiedenen Kulturen antreffen. Drehen und rhythmische Bewegungen sind Praktiken, die in vielen Kulturen auftreten. Sie können den Bewusstseinsprozeß verändern, und das verschafft einen tieferen Kontakt mit den spirituellen Ressourcen des Selbst.
Die Tänze und wirbelnden Gebete kamen von Zentralasien nach Anatolien. Die Idee dieser Tänze ist, daß jede Bewegung eine spirituelle Bedeutung und ein Bewusstsein hat. In ältester schamanischer Zeit gelangte der Schamane mithilfe der Drehbewegungen in Ekstase, und durch die daraus entstehende Bewusstseinsveränderung bekam er die Möglichkeit, mit anderen Dimensionen Kontakt aufzunehmen. So konnte er Antworten finden auf Fragen für seine Probleme und die der Gemeinschaft. Es ist bekannt, daß der Prophet Mohammed (der Friede Gottes sei auf ihm) während des Tanzes drehend betete, als ein Freund ein Gedicht rezitierte.
Unser Seminar
Zu Lebzeiten Hz. Mevlânas begann ein Mann namens Sipehsalar ein Buch zu schreiben über Mevlânas Leben, die Menschen um ihn und ihre Geschichten. Später beendete Ahmet Eflaki dieses Buch unter dem Titel “Die Taten der Gottwissenden ” (Manāqeb al-`ārefīn, Persisch-Englisch von John O’Kane). Darin finden wir Informationen, wie oft und wie lange Mevlâna Semâ ausübte.
Gemäß dieses Buches drehte er manchmal 3 Tage und Nächte lang, manchmal 7 oder 16 Tage und Nächte und drei Mal für 40 Tage und Nächte. Vor einigen Jahren starteten wir das Experiment, den Originalstil des Drehens wieder aufzunehmen, so wie es Mevlâna vor 700 Jahren praktiziert hatte. Wir wollten Einzelheiten und Tiefen der eigenen Spiritualität untersuchen. In der Schweiz, in Deutschland, in Spanien, Österreich und in der Türkei haben wir in den vergangenen 5 Jahren Semâ für einen Tag und eine Nacht, dann 16 Mal drei Tage und Nächte, zwei Mal 5 Tage und Nächte und zwei Mal 40 Tage und Nächte, im Jahr 2014 sogar 99 Tage und Nächte veranstaltet. Die langen Veranstaltungen fanden am selben Platz statt – die 2 Mal 40 Tage und Nächte auch zur selben Zeit. Während dieses Experiments dauerte die Musik immer an und es drehten stets mindestens 2 Semazen zur Musik. Nach unserem Experiment mit dieser Form der spirituellen Arbeit, die auf Mevlânas spirituellem Weg basiert, entschlossen wir uns, wieder 40 Tage und Nächte mit Musik und Semâ, Gebet und Ziker zu organisieren.
Wir hoffen, daß jede Person in sich selbst während der Zeit, in der sie die schöpferischen Aspekte des Semâ praktiziert, die Essenz und den Sinn des Drehtanzes finden kann.